POV: Kurzinterview zu Trends in der Versicherungs- und Kfz-Branche
Bei Horn & Company verfolgen wir Markttrends und deren Implikationen für die Geschäftsmodelle unserer Kunden sehr genau. Heute geben unsere Versicherungsexperten Dr. André Dibbert und Dr. Christoph Hartl Einblick in das Thema Versicherungen mit Fokus auf die Kfz-Sparte – dem typischen Einsteigerprodukt jeder Versicherung. Wir möchten mit diesem Kurzinterview Denkanstöße zur strategischen Weiterentwicklung von Kfz-Versicherern geben.
Interview
Frage: Mit welchen zentralen Entwicklungen rund um das KfZ und die Digitalisierung muss sich die Versicherungsbranche aktuell intensiv auseinandersetzen?
Dr. Christoph Hartl: Es gibt sicherlich eine Vielzahl an Mobilitäts- und Techniktrends, aber Daten und KI sind jene zwei Themen, die die Branche nachhaltig verändern werden. Fahrzeuge entwickeln sich – abgesehen von neuen Antriebsarten – immer stärker zu einem „Smartphone auf Rädern“. Neben der Hardware nimmt die Software eine immer wichtigere Rolle ein, und die Menge an generierten Daten steigt massiv an.
Dr. André Dibbert: Und generative KI mit dem sehr bekannten Beispiel ChatGPT wird den Einsatz von KI Use Cases noch stark beschleunigen mit dem Potential, Kernprozesse der Versicherer stark zu vereinfachen und Kundenzufriedenheit deutlich zu erhöhen.
Frage: An welchen Stellen sind diese Implikationen besonders relevant?
Dr. Christoph Hartl: Wenn man sich die Wertschöpfungskette von Versicherern ansieht, dann sind es insbesondere die folgenden drei Bereiche, mit denen man sich besonders beschäftigen sollte: Vertrieb, Kundenservice und Bearbeitungsprozesse sowie Schadenmanagement.
Frage: Was ist beim ersten Thema Vertrieb aus Top-Management Sicht besonders relevant?
Dr. Christoph Hartl: Die zunehmende Digitalisierung, insbes. von Fahrzeugen im PKW-Bereich, wird es ermöglichen, dass Endkunden im Rahmen des Autokaufs bspw. im Cockpit des Fahrzeuges den Versicherungsschutz digital und per Knopfdruck abschließen (Stichwort „Embedded Insurance“). Für den Endkunden tritt die Marke der ausgewählten Versicherung dann in den Hintergrund. Zentrales Kommunikationsmedium ist das Cockpit des Fahrzeuges, mit dem man bei Bedarf den Versicherungsschutz auch anpassen kann, z.B. um temporär zusätzlichen Versicherungsschutz für den Urlaub zu erhalten. Abgesehen davon gewinnt der reine Online-Vertrieb von Fahrzeugen zunehmend an Bedeutung, neben Tesla setzen immer mehr Hersteller auch auf den Vertrieb über Websites (z.B. Volvo mit Polestar in Schweden).
Dr. André Dibbert: Neben dem traditionellen Vertrieb von Kfz-Versicherungen über Ausschließlichkeit, Makler und Direktvertrieb werden also neue Vertriebswege und Kooperationen z.B. mit Automobilherstellern und weiteren Leistungsanbietern außerhalb des eigenen Kerngeschäfts für Versicherer an Bedeutung deutlich zunehmen. Denn mit einer Vielzahl an wertigen Kundenkontaktpunkten und unter Einbindung einer Vielzahl von Zusatzleistungen sind nicht nur digitale Plattformen der Automobilhersteller eine fundamentale Bedrohung der bisherigen Stärke der Versicherer – der langfristigen Kundenbindung. Die Versicherer stehen vor der Herausforderung, die Kundenschnittstelle auch weiterhin zu besetzen, Kooperationen und Plattformen mitzugestalten und ihren Kunden situativ auch Leistungen außerhalb des Kerngeschäftes anzubieten.
Frage: Auf welche Weise sind Kundenservice und Bearbeitungsprozesse von den Trends Daten und KI betroffen?
Dr. Christoph Hartl: Use Cases für Digitalisierung und KI im Kontext Kundenservice und Prozesse sind vielfältig: Optimierung der Risikobeurteilung und Beschleunigung des Underwritings, verbesserte Anliegenerkennung und -steuerung, Unterstützung bei der Erstellung von Kundenschreiben und personalisierte Kundeninteraktion mit Hilfe von Voicebots oder die Generierung einer Next Best Offer im Kundengespräch sind nur einige Bespiele. Dennoch gibt es häufig noch Umsetzungshürden und Lösungen brauchen noch zu lange, bis sie tatsächlich „an den Start“ gehen können. Extern vorgegebene Barrieren sowie „hausgemachte“, versicherungsindividuelle Hürden sind zu beachten. Dabei sind u.a. zu nennen: Datenschutz, regulatorische Einschränkungen, unzureichende Datenqualität, Integrations-schwierigkeiten in bestehende Applikationslandschaften, Ungenauigkeiten oder auch Grenzen der künstlichen Empathie in der Kundeninteraktion.
Dr. André Dibbert: Dabei sind Implementierungen häufig pragmatisch und ohne große Eingriffe in Systemlandschaft möglich. Die Anwendung von KI zur Verbesserung des Telefonie-Forecasts oder die die Digitalisierung der telefonischen Warteschlange sind solche einfachen Anwendungsfälle mit hohem Verbesserungspotenzial hinsichtlich Erreichbarkeit und Kundenzufriedenheit. Mit unserem H&C-eigenen Data Analytics Know How und unseren Dienstleistungspartnern haben wir bereits Service Level in der Operations-Telefonie bei Versicherern u.a. durch intelligentes Angebot von Rückrufen und Vermeidung von Wiederanrufern bei gleicher Teamstärke im Kundenservice deutlich steigern können. Dazu waren noch nicht einmal technische Eingriffe in die Telefonieanlage und -steuerung nötig, lediglich die Weiterleitung von Anrufen zum Dienstleistersystem.
Frage: Und welche Rolle spielt die Datennutzung zukünftig beim Schadenmanagement?
Dr. Christoph Hartl: Die Wandlung des Kfz vom hardwareorientierten Objekt zum elektrifizierten High- Tech-Gerät voller auswertbarer Datenpunkte ändert die Art die Weise, wie bereits aktuell aber zukünftig vermehrt mit Schäden umgegangen wird. Daten können Versicherern einerseits dabei helfen, den tatsächlichen Schaden auf Basis der gespeicherten und auslesbaren Fahrzeugdaten relativ rasch zu ermitteln. Dadurch können Kosten sowohl bei der Regulierung (z.B. reduzierter Einsatz von Sachverständigen) als auch bei Entschädigungen (z.B. genauere und insbes. sehr rasche Angebotsmöglichkeiten von fiktiven Abrechnungen) gesenkt werden. Die verbleibenden tatsächlich durchgeführten Reparaturen können anders ablaufen, als wir es bisher gewohnt waren. Dienstleister oder Hersteller selbst werden Reparaturen „over the air“ durchführen, d.h. jemand schaltet sich remote auf die Software des Kfz und versucht den Schaden zu beheben. Bei klaren mechanischen Schäden werden analog von Tesla Bodyshops Hardware-Komponenten am Stück ausgetauscht. Idealerweise erfolgt das sehr rasch im Rahmen eines einzigen Termins. ähnlich wie bei einem Formel 1 Boxenstopp. Die Werkstattlandschaft und bei Versicherungen selbst natürlich die Prozesse der Schadensteuerung und -regulierung werden sich dadurch radikal verändern.
Frage: Und was sind die Folgen veränderter Mobilitätskonzepte und Antriebstechnologien für Schaden?
Dr. André Dibbert: Zuerst zur Antriebsart: Das Batterie-System ist substantieller Bauteil eines Elektrofahrzeuges und kann bis zur Hälfte der Gesamtkosten des Fahrzeuges ausmachen. Wird die Batterie bei einem Unfall auch nur leicht beschädigt, ist eine Reparatur häufig mit hohen Kosten verbunden. Das führt aktuell noch zwangsweise dazu, dass Schäden bei Elektrofahrzeugen einen wesentlich höheren Schadendurchschnitt aufweisen. Hier sollten Werkstätten und Gutachter zukünftig besser den Zustand der Batterie nach einem Unfall beurteilen können und Möglichkeiten für die Reparatur oder den teilweisen Austausch beschädigter Batterien vorhanden sein. Und was die Mobilitätskonzepte angeht: Grundsätzlich sehen wir z.B. eine deutliche Zunahme des Angebots von Abo-Modellen durch Kfz-Hersteller (u.a. Volvo, Mercedes, Peugeot, VW, Ford) und Leasinggeber (Sixt, Hertz, Europcar) und diverse neue Unternehmen bzw. Startups. Dabei tritt die Versicherung in den Hintergrund, der Versicherer liefert nur noch Einzelkomponenten und Kooperationen mit Kfz-Herstellern, Leasinggebern u.ä. sind unbedingt erforderlich, weil auch hier wieder der Verlust der Kundenschnittstelle droht.
Frage: Das klingt alles nach strategisch wichtigen Fragen, was sind denn aktuell die kurzfristigen und operativen Schadenthemen der Versicherer?
Dr. André Dibbert: Neben den genannten mittel- und langfristigen Veränderungen im Schadenmarkt sind bereits jetzt deutliche Erleichterungen in Schadenaufnahme- und Schadenanlageprozessen von Versicherern möglich. So werden einfache Schäden bereits durch Voicebots erkannt, Schadendaten im KI-basierten Dialog mit dem Kunden aufgenommen, über einen entsprechenden Link durch den Kunden vervollständigt und die Schäden automatisch angelegt. Das entlastet die Schadenmitarbeitenden insbes. in der Telefonie und verringert die Beschäftigung mit Einfachschäden. Auch Statusanfragen können durch KI erkannt und so besser und breiter gesteuert werden – in den seltensten Fällen ist dafür ja der Case-Owner erforderlich. Das bietet in den gerade häufig angespannten Bearbeitungs- und Rückstandsituationen der Schadenabteilungen echte „Quick-Wins“ und einen wichtigen Beitrag in Richtung „Back to Green“.
Frage: Welche zusammenfassenden Botschaften gibt es für Versicherer?
Dr. Christoph Hartl: Die Branche wird komplexer und gleichzeitig spannender werden. Aus Sicht von Versicherungen ist es sicherlich wesentlich, folgendes Mindset mitzubringen:
- Rahmenbedingungen bzgl. gestiegener Daten-/KI-Anforderungen schaffen
- Technisches Know how für eine starke Meinungsbildung aufbauen
- Offen für Kooperationen mit (branchenfremden) Partnern sein
Dr. André Dibbert: Und mit den Chancen der Digitalisierung lassen sich auch die Betriebsmodelle der Versicherer weiter in Richtung Qualitäts- und Kundenzentrierung ausrichten. Die Versicherer werden die Zeit am Kunden weniger für Standardanfragen einsetzen müssen, sondern können sich vermehrt darauf konzentrieren, den Customer Value zu steigern und die Kunden durch positive Erfahrungen im Schadenfall an das Unternehmen zu binden.
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