Blockchain in den Anden: Kryptowährungen in Südamerika

VonPhilipp Misura
Blockchain & Digital Assets, Blogartikel

Stellen Sie sich vor, Sie spazieren in Peru durch die Straßen einer mittelgroßen Stadt, vorbei an vielen kleinen Shops, die in etwa die Größe einer Garage haben und nachts durch massive Metallgitter gesichert werden. Und zwischen einer endlosen Zahl an identischen Brillengeschäften kommen Sie an einem Shop vorbei, der lediglich mit „9780Bitcoin.com“ in großen Buchstaben betitelt ist – würden Sie hier Bitcoins handeln?

Julia Knolle, Senior Associate, über "Blockchain in den Anden: Kryptowährungen in Südamerika"

Tatsächlich handelt es sich bei 9780Bitcoin um ein seriöses FinTech, welches 2018 gegründet wurde und neben Peru auch in Brasilien und Kolumbien aktiv ist. Auf den ersten Blick mag es sonderbar erscheinen, dass sich eine Region, die vielerorts von (Hyper-)Inflation, Währungskrisen und politischer Instabilität geprägt ist zu einem der spannendsten Schauplätze für die Adaption von Kryptowährungen entwickelt hat. Aber gerade diese Faktoren sind es letzten Endes, die den digitalen Währungen hier eine besondere Rolle verschaffen, denn für viele Menschen sind sie nicht nur eine technische Spielerei – sie stellen eine echte Chance auf finanzielle Freiheit in einer turbulenten wirtschaftlichen Lage dar.


So setzen immer mehr Südamerikaner auf Bitcoin, Ethereum und Co., um ihr Vermögen vor der Abwertung zu schützen, internationale Zahlungen abzuwickeln oder einfach nur Zugang zu einem globalen Finanzsystem zu erhalten, das ihnen bisher verschlossen war. Doch während einige Länder wie Brasilien und Argentinien innovative Wege gehen, um die Krypto-Industrie zu regulieren und zu fördern, standen andere wie Bolivien und Ecuador lange Zeit auf der Bremse.


In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick darauf, wie Kryptowährungen das Leben der Menschen in Südamerika verändern, welche Chancen und Risiken sie mit sich bringen und wie die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Adaption beeinflussen. Südamerika ist längst zu einem Zentrum der globalen Krypto-Revolution geworden – und es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Die Rolle von Kryptowährungen in Lateinamerika

Zunächst lässt sich festhalten, dass bestimmte Motive für den Handel von Kryptowährungen in Südamerika genauso greifen wie in Europa oder den USA. Eines davon ist die Absicherung gegen Inflation. Dass dieses Motiv in Ländern mit einer sehr hohen Inflationsrate bis hin zur Hyperinflation, wie es vielen von wirtschaftlichen Instabilitäten geplagten Ländern Südamerikas der Fall ist, einen ganz anderen Stellenwert einnimmt, steht außer Frage. Auch die daraus folgende Vorliebe für Stablecoins ist nicht weiter überraschend. Eine weitere Chance, die Kryptowährungen insbesondere in den lateinamerikanischen Ländern bieten kann, ist der Zugriff auf Finanzdienstleistungen für den Anteil der Bevölkerung mit (stark) eingeschränktem Zugang zum traditionellen Bankensystem. Dieser liegt in einigen der hier betrachteten Länder bei bis zu 50%. Eine letzte Entwicklung, die in Teilen Lateinamerikas bereits die Akzeptanz und Verbreitung von Kryptowährungen gefördert hat, sind Geldüberweisungen aus dem Ausland (engl.: Remittances), etwa von Familienangehörigen, die ausgewandert sind. Kryptowährungen bieten hier die Möglichkeit, kostengünstig und effizient finanzielle Mittel zurück in das Heimatland zu schicken, sofern die dortige Infrastruktur es zulässt.

Die Krypto-Vorreiter

  • Brasilien ist Vorreiter und der größte Markt für Kryptowährungen in Südamerika. Es besitzt eine gut entwickelte Infrastruktur für den Krypto-Handel. In Umfragen geben rund 20% der Bevölkerung an, bereits Kryptowährungen zu besitzen. Die Zentralbank Brasiliens arbeitet aktuell an der Einführung einer digitalen Währung, dem Drex. 2023 wurde ein umfassendes Gesetz erlassen, welches die Regulierung von Kryptodienstleistern vorsieht. Die so geschaffene Rechtssicherheit wird sich zukünftig förderlich auf den brasilianischen Kryptomarkt auswirken.
  • In Argentinien sind Kryptowährungen aufgrund der wirtschaftlich instabilen Lage, hoher Inflation und strikten Kapitalverkehrskontrollen bereits seit geraumer Zeit sehr verbreitet, trotz starker Restriktionen durch die Zentralbank. Schätzungen zufolge nutzen 12-15% der Bevölkerung Kryptowährungen, insbesondere in Form von Stablecoins. Mit dem Antritt des neuen Präsidenten Ende 2023 gab es für die Kryptoszene einen wichtigen Paradigmenschift – so wurde noch im Dezember 2023 bekanntgegeben, dass Bitcoin-basierte Verträge künftig gesetzlich akzeptiert werden. Auch an der Regulierungsfront wird nun verstärkt nachgezogen, um der bereits vorhandenen Verbreitung von Kryptowährungen Rechnung zu tragen.
  • Während in Kolumbien zwar im Vergleich zu den beiden letztgenannten Ländern etwas weniger Personen Kryptowährungen besitzen, so fällt dieses Land in internationalen Vergleichen durch sein hohes Krypto-Handelsvolumen aus, insbesondere auf Peer-to-Peer-Plattformen. In Kolumbien spielen zudem Überweisungen aus dem Ausland, vorrangig aus den USA oder Europa, eine entscheidende Rolle. Die offen positive Haltung der kolumbianischen Regierung gegenüber Kryptowährungen sowie die Ankündigung einer umfassenden Regulierung stärken die Weiterentwicklung dieses Sektors zusätzlich.
  • Der Fall Venezuela hat in der Vergangenheit für einige Schlagzeilen gesorgt – insbesondere um die 2018 eingeführte staatliche Kryptowährung Petro, die schließlich im Januar 2024 abgeschafft wurde. Ziel der Einführung von Petro war es unter anderem, die internationalen Wirtschaftssanktionen zu umgehen, weshalb die Währung von Anfang an umstritten war. Auch um die 2018 einberufene und 2023 „zur Reorganisation geschlossene“ Krypto-Überwachungsbehörde Sunacrip ranken sich Korruptions-Skandale. Die prekäre wirtschaftliche Lage in Venezuela und der Zusammenbruch des Finanzsystems waren und sind jedoch enorm förderlich für die Akzeptanz und Verbreitung von Kryptowährungen, insbesondere auch im informellen Sektor. Vorrangig Bitcoin und Stablecoins sind bei den Haltern von Kryptowährungen, die etwa 10-15% der Bevölkerung ausmachen, beliebt.

Die Krypto-Nachzügler

  • In Peru weist die Nutzung von Kryptowährungen ebenfalls einen positiven Trend auf, allerdings ist diese noch nicht so verbreitet wie in den bisher genannten Ländern und liegt bei <10% der Bevölkerung. Dieser Krypto-affine Teil der Bevölkerung ist dafür sehr aktiv und handelt laut einer AMI Studie aus dem Jahr 2023 häufiger pro Monat als vergleichbare Nutzer in Brasilien oder Argentinien. Im Vergleich zu diesen Ländern ist im P2P-Bereich der Handel gegen Cash deutlich verbreiteter, während der Handel an der Börse hier vergleichsweise seltener über Überweisungen und häufiger über die Kreditkarte abgewickelt wird. Umfassende Regulierungen zu Kryptowährungen gibt es in Peru derzeit noch nicht.
  • Chile hat im südamerikanischen Vergleich das fortschrittlichste Finanzsystem inkl. einer hohen Verbreitung von mobilen und digitalen Zahlungsdiensten – die Krypto-Gemeinschaft ist dafür jedoch mit <10% der Bevölkerung erstaunlich klein. Chile hat im Jahr 2023 ein Fintech-Gesetz verabschiedet, das die Verwendung von Kryptowährungen zwar nicht direkt reguliert, aber klare Rahmenbedingungen für Fintech-Unternehmen, einschließlich Krypto-Plattformen, geschaffen hat. Dieses Gesetz wurde insbesondere auch als Reaktion auf vermehrte Spannungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen Kryptobörsen und Banken verabschiedet.
  • Uruguay zeigt zwar Interesse an der Blockchain-Technologie, aber die Verwendung von Kryptowährungen ist noch nicht weit verbreitet und liegt prozentual im niedrigen einstelligen Bereich. Die Zentralbank hat betont, dass Kryptowährungen nicht als offizielles Zahlungsmittel anerkannt sind, aber es gibt keine strengen Verbote und auch keine weitreichenden Regulierungen des Sektors. Die Haltung der Regierung ist jedoch klar positiv einzuordnen.

Die Krypto-Sonderfälle

  • Paraguay ist insofern ein interessanter Fall, da es aufgrund der günstigen Strompreise als einer der weltweiten Mining-Hubs gilt, obwohl die Nutzung von Kryptowährungen im Inland mit nur 1-2% der Bevölkerung im niedrigen Bereich liegt. Insofern liegt der regulatorische Schwerpunkt auch auf den Mining-Aktivitäten und weniger auf dem Handel und der Nutzung, wobei aktuell im Kongress weitere Legislatur diesbezüglich diskutiert wird.
  • Bolivien war 2014 eines der Vorreiterländer, die mit Verboten und umfangreichen Restriktionen gegen den Einzug von Kryptowährungen vorgehen wollten. Jeglicher Handel und Besitz von Kryptowährungen waren untersagt. Im informellen Sektor gab es trotzdem Berichte über die Nutzung von Kryptowährungen, davon abgesehen ist die Adoptionsrate jedoch vernachlässigbar gewesen. Erst vor kurzem – im Juni 2024 – wurde das Verbot von Kryptowährungen schließlich aufgehoben, um den bolivianischen Finanzsektor zu modernisieren. Seitdem hat der Handel insbesondere mit Stablecoins stark zugenommen.
  • Auch in Ecuador ist die Haltung gegenüber Kryptowährungen als restriktiv einzustufen. 2014 wurden zunächst die Nutzung und der Handel verboten. Gleichzeitig wurde die Einführung des „dinero electrónico“ angekündigt. Ecuador war damit das erste Land, dessen Zentralbank elektronisches Geld ausgab. Dieses schaffte es jedoch nicht, genügend Nutzer für sich zu gewinnen, sodass das Projekt bereits 2018 wieder aufgegeben wurde. Die Nutzung von Kryptowährungen wie Bitcoin u.a. ist seitdem weiterhin verboten, der Handel ist jedoch mittlerweile gestattet. Trotzdem bewegt sich die Adoptionsrate von Kryptowährungen weiterhin bei unter 1%.

Fazit

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Kryptolandschaft in Südamerika genauso wenig über einen Kamm geschert werden kann wie die Länder selbst. Zwar sind die Haupttreiber und insbesondere auch die Chancen von Kryptowährungen für diese Länder sehr ähnlich gelagert und unterscheiden sich von dem etwa in den USA und Europa üblichen Fokus. Wie weit fortgeschritten die Verbreitung jedoch bereits ist und inwieweit diese durch die Regierung aktiv gefördert wird, variiert von Land zu Land. Eins ist jedoch sicher und wird eindrücklich durch die Länder gezeigt, die anfangs durch Verbote und strikte Restriktionen gegen diese Entwicklung vorgehen wollten: Kryptowährungen finden ihren Weg in die Gesellschaft. Und sie sind gekommen, um zu bleiben.

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